Ein Review in Form eines Liebesbriefs mag den Leser und die Leserin zunächst befremden, soll doch eine Kritik ein Werk beschreiben und bewerten, aber nicht anpreisen. Cowboy Bebop ist aber so speziell und so wundervoll, dass man diese Serie nicht mit den üblichen Kategorien und Normen beurteilen kann, im Gegenteil, Cowboy Bebop entzieht sich jeglicher objektiver Bewertbarkeit und gedeiht in einer expressionistischen Sphäre, die sich durch Musik und Gefühle ausdrückt.
Cowboy Bebop scheint keine Story zu haben, was gleichzeitig der grösste Kritikpunkt ist, den man zu dieser Show üblicherweise zu hören bekommt. Jede Folge ist eine Einheit, die für sich steht und auf den ersten Blick nicht viel mit der nächsten oder der vorangehenden Episode zu tun hat. Dies soll aber nicht falsch verstanden werden, denn Cowboy Bebop ist nicht eine Serie wie die Simpsons, in welcher die Ereignisse einer Folge keine Auswirkungen auf die andere haben. In Bebop gilt, was passiert, das passiert und lässt sich nicht mehr ändern. Allerdings sind die Episoden nicht, wie meist angenommen, für sich stehende Einheiten, sondern fügen sich zu einem grossen Ganzen zusammen, ähnlich wie die Glieder einer wunderschönen Perlenkette, die für sich genommen schön sein können, aber ihren wahren Glanz erst in der Gesamtheit der Kette entfalten.
Cowboy Bebops Kette, welche die jeweiligen Folgen verbindet und zusammenhängt ist Spikes Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Einem Puzzle gleich offenbaren sich uns Stück für Stück Teile aus seiner Vergangenheit und fügen sich gegen Schluss zu einem Ganzen zusammen, das sich Spike Spiegel nennt. Um ihn und seine Vergangenheit herum werden fesselnde Geschichten kreiert, die zeigen wie er und sein Freund Jet den süssen Hund Ein, die Femme fatale Faye Valentine und die frech-fröhliche Ed kennen lernen. Daraufhin werden uns Episoden gezeigt, die sich nicht ausschliesslich um Spike drehen, sondern auch um seine Freunde und deren Vergangenheit und ehe man sich versieht, lernt man vier faszinierende Menschen kennen und erlebt mit ihnen bittersüsse Momente.
Die Folgen überzeugen neben brisanter Aktion mit gefühlvoller Charakterentwicklung. Jet ist der Fels in der Brandung, an den sich alle Mitglieder der Bebop orientieren, obwohl er gerne so tut, als ob ihm alle anderen egal sind und er sich nur um sein Schiff und Geld kümmert. Er ist ein ehemaliger Polizist, der eines Tages von seiner grossen Liebe verlassen wurde und seit dem das einsame Dasein eines Kopfgeldjägers führt. Er trifft diese Liebe namens Alisa in der Folge „Ganymede Elegy“ wieder und gibt zu, dass er sich früher immer gefreut hat nach Hause zu kommen, wo sie auf ihn gewartet hat. Das sei genug für ihn gewesen, bis zu dem Tag an dem sie ihn verlassen hat und ihm nur einen Brief und eine Uhr hinterliess, auf der die Zeit still geblieben ist. Auch wenn Jet tausende Kilometer weit geflohen ist von Ganymed, seiner Heimat, so ist die Zeit für ihn doch still geblieben und er konnte nie mit seiner Vergangenheit abschliessen. Auf der Bebop übernimmt er für seine Freunde die Rolle, die Alisa für ihn übernahm; er ist die Person, die zu Hause wartet und zu der die anderen jederzeit zurückkehren können. An einer Stelle wird er als (weg)rennender Felsen beschrieben.
Faye Valentine wird als egozentrische Probleme Macherin charakterisiert, die nur auf eine Gelegenheit wartet ihre Freunde übers Ohr zu hauen und mit fetter Beute zu verschwinden. Sie ist älter als sie zu sein scheint, denn als Jugendliche hatte sie einen schweren Unfall und wurde in Kryostase versetzt, weil man sie damals nicht heilen konnte. Sie wird aber eines Tages wieder erweckt und gesund gepflegt, hat aber keine Erinnerungen an ihre Vergangenheit und weiss nicht wer sie ist. Der Arzt, der sie rettet, gibt ihr den Namen Faye Valentine, der auf den ersten Blick nicht zu ihrer Persönlichkeit passt, aber wenn Cowboy Bebop etwas ist, dann doppeldeutig, denn wir kriegen mit der Zeit eine Faye zu Gesicht, die wir schnell zu lieben lernen. Auch für sie ist die Zeit stehen geblieben und sie wird von ihrer Vergangenheit heimgesucht, aber nicht aus denselben Gründen wie Jet oder Spike, denn sie kann sich an ihre nicht erinnern. Während die anderen beiden von ihr Flüchten, sucht Faye ihre Vergangenheit, kann sie aber nicht finden.
Ed, die aussieht wie ein Junge, taucht aus dem Nichts auf und verschwindet ebenso plötzlich wie sie gekommen ist. In der Serie wird sie an einer Stelle als streunende Katze beschrieben, die ihren eigenen Willen hat und das tut, worauf sie gerade Lust hat.
Spike, der schwimmende Vogel, wirkt wie ein Tunichtgut, der das Leben nimmt, wie es kommt. Er verbirgt aber tief in sich eine Bürde, die sich Vergangenheit nennt und wird immer wieder von ihr heimgesucht, obwohl er sie am liebsten vergessen würde. Er war ursprünglich ein Mitglied des Syndikats Roter Drache, einer Mafiaorganisation auf dem Mars, lernte dort die Liebe seines Lebens, Julia, kennen und wollte mit ihr fliehen und ein neues Leben anfangen. Allerdings entschloss sich Julia nicht ihm zu folgen und so wandert Spike alleine, mit Jet, durch das Sonnensystem und schlägt sich als Kopfgeldjäger durch.
Worum geht es in Cowboy Bebop eigentlich? Um Spike Spiegel und sein Abenteuer? Nein, in Bebop geht es um das Leben, um Menschen und ihre Beziehungen, um Liebe, Freundschaft, Trauer, Einsamkeit, den Tod und vieles mehr. Der Anime ist dermassen vielschichtig, dass man nicht ansatzweise beschreiben kann, welche Themen er alles aufgreift. In seinem Herzen geht es aber um unsere vier Freunde, der Crew von Bebop und deren Verhältnis zueinander. Wobei „Crew“ das falsche Wort ist, denn sie gehören weder zur Bebop, noch zueinander. Sie sind eher vier Fremde, deren Wege sich für einen kurzen Zeitraum ihres Lebens gekreuzt haben und die sich zusammen durchschlagen, weil sie merken, dass es alleine doch einsam ist. Aber sie sind das, was Bebop so besonders macht, weil sie komplexe Charaktere darstellen, die man so in keinen anderen Anime zu Gesicht bekommt.
Aber warum ist Cowboy Bebop etwas Besonderes, dass ich mich dazu entschliesse für sein Review einen Liebesbrief zu schreiben? Nun, zum einen ist dieser Anime so einmalig, dass es weder in der Anime Industrie, noch in Hollywood jemals etwas Vergleichbares gab, bzw. gibt. Die Story ist so vielschichtig und doppeldeutig, dass sie selbst nach der fünften Wiederholung Überraschungen bereit hält, die Charaktere sind so kunstvoll und originell, dass man sich sofort in sie verliebt und das Setting…ist unglaublich. Anstelle einer auf Hochglanz polierten Sci-Fi Welt, kriegen wir eine dreckige, trüber Western Atmosphäre, die mehr an Neo-Tijuana als an Neo-Tokyo erinnert, wie „Christli“ von THEM Anime Reviews treffend beschreibt. Genau deswegen erinnert mich dieser Anime an die Kultserie Fierfly (R.I.P!). Vier Leute, die durch das Universum – in dem Fall das Sonnensystem – cruisen in einem coolen Schiff, welches das Millenium Falcon Gefühl verbreitet, den Tag zu nehmen wie er kommt; das ist Freiheit. Ironischerweise sind unsere Helden alles andere als frei, mit Ausnahme von vielleicht dem süssen Hund Ein und Ed, die gegen Ende der Show ihren eigenen Weg findet, auch wenn wir nie erfahren, wie dieser Weg genau aussieht. Darum geht es auch nicht, wichtig ist, dass sie ihn beschreitet, mehr müssen wir nicht wissen. Wer Zweifel hat, weil er oder sie mit Western Filmen nichts anfangen kann, darf aufatmen, denn in Bebop ist die Atmosphäre auch schon alles, was mit einem klassischen Western zu tun hat. Ich kann mit Western auch nicht viel Anfangen, aber Bebop ist so viel mehr als das.
Für den aufmerksamen LeserIn hält Cowboy Bebop unglaublich viele Anspielungen aus der Popkultur bereit, die von Andeutungen zu Led Zeppelin, Queen oder anderen berühmten Musikgruppen über Filmfiguren wie Butch und Sundance, Bruce Lee bis hin zu berühmten Filmemachern der 50er und 60er Jahre reichen. Darüber hinaus ist Cowboy Bebop so kunstvoll aufgebaut, dass die Show mehrere Anspielungen auf sich selbst, bzw. eigene Episoden hat. Sind euch die Parallelen zwischen Faye und Julia aufgefallen, oder die Ähnlichkeit zwischen Spike und Gren, der in „Jupiter Jazz“ vorkommt? Die Hommage an die Alien Filme in „Toys in the Attic“, oder dass die Kathedrale in „Ballad of Fallen Angels“ an die Notre Dame erinnert? Worauf spielt die Folge „My funny Valentine“ an? Ist euch klar, dass der Mann, der in „The Real Folk Blues 1“ seine Mutter am Flughafen abholt, der Schauspieler aus „Top Shots“ ist? Der running gag in „Speak like a Child“ fällt doch sofort auf, als Spike und Faye sich am Angeln bzw. Pferderennen-Glücksspiel versuchen, ohne aber Erfolg zu haben, wie das auch bei ihren Kopfgeldaufträgen so ist. Sie schaffen es immer die Verbrecher auszuschalten, den Tag zu retten, aber können ihre Erfolge nie in Bares ummünzen. Die Liste liesse sich schier endlos ergänzen.
Doch was ist es, das Cowboy Bebop seinen einmaligen, unverwechselbaren Charme verleiht? Story, Charaktere, Setting, Anspielungen und Metaphern sind nur die eine Seite der Münze, die andere besteht aus der Animation und, meines Erachtens das wichtigste: dem Soundtrack. Ich kann mit reinem Gewissen behaupten, dass Bebop den breitesten, komplettesten und elegantesten OST der Anime Geschichte hat und sich mit jeder Hollywood Produktion messen kann. Noch nie ist mir eine Show begegnet, die sich so gut anhört. Eröffnet wird der Anime durch einen unvergleichlichen Jazz und Blues Blend (Mix) und klingt mit dem wunderschönen „The Real Folk Blues“ als Ending aus. Noch nie ist mir ein Anime begegnet, bei dem das Opening respektive Ending zum Anime dazu gehört. Wenn man eine Folge vor dem Einsetzen des „The Real Folk Blues“ wegklickt, fühlt sie sich nicht komplett an, es fehlt ein Teil. Genauso ist es mit dem Openingsong „Tank!“, man kann den Anime nicht beginnen ohne „Den Gruve“. Jenseits von Opening und Ending überzeugt der Soundtrack auf ganzer Linie. Die Hauptkomponistin der Musik, Yoko Kanno, gehört zu den wenigen japanischen Künstlerinnen, die ausserhalb von Japan Berühmtheit erlangen konnte, und wie sie es verdient hat!
Die Animation trägt auch ihren Teil am Erfolg der Show bei. Sie gehört selbst heute, 16 Jahre nach Veröffentlichung, mit zum Besten, was man in Animes sehen kann. Die Show sieht so gut aus, sie könnte Teil der Winterstaffel 2014 sein und würde trotzdem einige Animes übertrumpfen, was Animationsqualität anbelangt, und dies obwohl sie komplett digital erstellt wurde. Cowboy Bebop zeigt uns, wie Digitale Animation aussehen muss und davon könnten einige Produktionsstudios etwas lernen. Aber es ist nicht nur die Qualität der Animation, sondern auch deren Stil, der aus der Show ein unvergessliches Erlebnis machen. Spikes Flitzer ist die Sci-Fi Version einer Corvette 69 ZL1 und sieht einfach nur stylish aus. Zudem sind die schlanken, kurvigen aber zeitgleich realistischen Charakterdesigns der Figuren phantastisch.
Cowboy Bebop ist ein einmaliges Erlebnis, das es kein zweites Mal gibt, egal von welchem Medium man spricht. Story, Charaktere, Setting, Animation und Soundtrack sind auf allerhöchstem Niveau und gehören mit zum Besten, was man in Animes sehen kann.
Kann ich Bebop empfehlen? Herr Gott, Ja! Wer bis zu diesem Zeitpunkt die Show noch nicht gesehen hat, sollte sie auf seine persönliche „In-Life-to-do-list“ setzen und zwar ganz weit oben. Ich habe „in Life to do“ bewusst gewählt und nicht „to-watch-list“ verwendet, weil Cowboy Bebop nicht einfach eine TV-Show oder einfach nur ein Anime ist, sondern ein Kunstwerk. Ich habe noch nie von jemandem gehört, dass er oder sie Bebop nicht gerne hatte oder die Serie schlecht fand. Diese Show gehört zu den wenigen Werken, die für jeden Geschmack etwas bietet. Wenn man jemanden fragt, wie er Bebop fand, dann assoziiert die Person als erstens den einen magischen Moment, die eine magische Folge, die sie persönlich am meisten bewegt hat und antwortet mit „weisst du noch, die eine Episode, als…“. Diese Folge ist je nach Person eine ganz andere, könnte aber jede sein, da alle Episoden wunderschöne, zauberhafte Momente enthalten, die sich in die Erinnerung eines jeden Zuschauers brennt.
Wenn man mich nach Cowboy Bebop fragt, dann danke ich immer an die letzten vier Minuten der Folge 24 „Hard Luck Woman“. Ed verlässt die Bebop, einen Abschied braucht es nicht, sie geht einen Weg entlang, begleitet von einer wunderschönen, herzzerreissenden Abendröte und Yoko Kannos (gesungen von Steve Comte) bewegendem Song „Call Me, Call Me“, der selbst in Europa und den USA das Zeug zu einem Top 10 Hit hätte; Spike zündet seine Zigarette an, Ein kann nicht anders als mit Ed fortzugehen, während diese sich ein letztes Mal umdreht mit Blick gegen die Bebop gerichtet, dreht sich ab und läuft einer ungewissen Zukunft entgegen. Zwei Sternschnuppen fallen am Himmel. Dann nur noch ein schwarzer Bildschirm mit den Worten „See You Cowgirl, Someday, Somewhere!“ und der „The Real Folk Blues“ setzt ein. Unbezahlbar! Einer der bittersüssesten Momente, die ich je am Bildschirm oder an der Leinwand sehen durfte.
Wer jetzt voller Vorfreude und Erwartung sich aufmacht, um Bebop zu sehen, sollte aber einen Rat beherzigen. Cowboy Bebop schaut man nicht einfach so. Man lädt sich die Serie nicht runter und verschlingt sie an einem Montagnachmittag, weil einem gerade langweilig ist und man sonst nichts zu tun hat. Nein, wenn man die komplette Bebop-Experience haben will, dann setzt man sich einen Termin, um die Serie zu schauen. Man isst vorher etwas feines, macht eine Flasche Wein auf, dimmt das Licht im Wohnzimmer, setzt sich in seinen Lieblingssessel oder legt sich auf das Sofa hin, nimmt seine Freundin oder seinen Freund in den Arm und lässt sich treiben. Man verschlingt nicht alle 26 Folgen auf einmal, sondern schaut sich gerade soviel an, wie man noch aufnahmefähig ist, schliesslich läuft einem der Anime nicht weg. Bebop ist wie ein langsamer Tanz zu einem Jazz Song. Wenn man zu tanzen weiss, kann man Raum, Zeit und die Welt vergessen, aber es ist einem bewusst, dass dieser Tanz irgendwann vorbei sein wird und man versucht schmerzhaft ihn hinauszuzögern, das Gefühl in sich einzusaugen, weil man weiss, dass dieser Moment bald zu Ende sein wird. Zum Glück können wir diesen Anime immer wieder von neuem schauen und ihn neu erleben, denn er wird nie langweilig und jedes Mal erkennt man neue Aspekte, neue Anspielungen und neue Bedeutungen, die einem vorher nicht aufgefallen sind. Das erste Mal habe ich Bebop vor acht Jahren geschaut. Damals hatte die Show eine ganz andere Bedeutung für mich, als sie es heute hat und ich weiss, dass ich sie in zehn Jahren wiederum ganz anderes verstehen werde als heute.
Immer noch nicht überzeugt? Oder skeptisch, da dies sich zu gut anhört, um wahr zu sein? Dann schaut zuallererst die fünfte Folge der Serie an. Ganz genau, die fünfte, nicht die erste, zu der ihr erst danach zurückkehren solltet, um dann die Show in chronologischer Reihenfolge zu schauen. Wenn ihr die Schönheit von „Ballad of Fallen Angels“ nicht erkennen könnt, dann wird euch der Anime als Ganzes nicht verzaubern können und ihr solltet ihn vorläufig auf Eis legen. Kommt dann in einigen Jahren nochmals darauf zurück und versucht es noch einmal mit Folge fünf.
Man könnte noch über so viele Dinge sprechen, aber das Beste ist, ihr schaut euch die Show selber an.
See You Space Cowboy,
Someday, Somewhere!
Quelle: Anime Reviews | Die deutschsprachige Anime Review Seite